Merkzeichen aG bei Autismus



Menschen drängeln sich in der Straßenbahn, das Licht im Fahrzeuginnenraum flackert, Fahrgäste reden durcheinander, jemand schlürft Kaffee, ein anderer riecht nach Bier: In öffentlichen Verkehrsmitteln kann es hektisch zugehen, es riecht, man drängelt, es ist laut…Für viele Menschen mit Autismus ist die Nutzung des ÖPNV dadurch unmöglich. Oder sie sind nach einer solche Fahrt völlig erschöpft und zu nichts mehr in der Lage. 

Aber auch fehlende Kommunikation, Handlungsplanung, Vorstellung ermöglichen einer Person mit Autismus keine Flexibilität im Handeln und dadurch kann die Mobilität massiv eingeschränkt sein. 

  

Welche autistischen Besonderheiten sind bei der Teilhabe besonders betroffen? 

  

Geräuschempfindlichkeit 

Geruchsempfindlichkeit 

Die Ablehnung, Räume zu betreten oder in Fahrzeuge einzusteigen, kann eine Reaktion auf Gerüche sein. Es gibt hier aber weitere Situationen, Gründe die das unmöglich machen. 

Visuelle Empfindlichkeit 

Autisten benötigen aufgrund der Proxemik (notwendig empfundene räumliche Distanz) mehr Raum. Sie fühlen sich unter anderem eingeengt, wenn Menschen ihnen zu nah kommen. Ertragen teilweise keinerlei Berührung. Auch hier gibt es Unterschiede. 

Einige ertragen keine Menschen um sich, oder sind nur in der Lage ihr Haus zu verlassen mit einer bestimmten Person und auf eine ganz besondere Weise. 

Es gibt eine Fülle an Schwierigkeiten, Problemen die dringend Berücksichtigung benötigen. Nur so, kann sich die jeweilige Person entfalten und weiter entwickeln.  

  

Da ist ein 5-jähriges Kind das nur im Reha-Buggy nach draußen kann. 

Ein 10-jähriges Mädchen schafft es nur im Rolli einzukaufen. Nur so kann sie sich sicher fühlen und hat eine Rückzugsmöglichkeit wenn sie nicht mehr kann. 

Ein junger Mann steigt nur in das immer gleiche Auto ein, mit der gleichen Person. 

Ein 40-jähriger Mann bewegt sich grundsätzlich nur vorwärts wenn er geführt wird. 

  

Man hat das Problem, dass keine größere Distanz zurückgelegt werden kann und irgendwann kann man sich sein Kind nicht mehr unter den Arm klemmen und tragen. Beispiel beim Arztbesuch, der ja immer wieder nötig ist. 

Allen gemeinsam ist, dass man bei Nichtbeachtung mit Eskalation rechnen muss und/oder dass die jeweilige Person nicht mehr handlungsfähig ist. 

Es folgt: Weglaufen, Spucken, Haare ziehen, um sich schlagen oder etwas werfen, um einige Beispiele zu nennen.  

  

Genau das sollte dringend vermieden werden. Uns geht es nicht nur um Verhinderung von Eskalationen, wo auch immer, mit Auswirkungen wie auch immer, wir wollen, dass die Menschen vorankommen und sich entwickeln können (das man alles versucht erzieherisch einzuwirken, versteht sich von selbst). 

Diese Entwicklungen sind oft möglich mit viel Zeit, genauer Abstimmung, Förderung und Nachteilsausgleichen und deutlichen klaren Ansagen. Unter Beachtung des Alters und der Gefühle. Wir nennen das, weil im Autismus-Spektrum oft Teilbereiche super entwickelt sind und andere Bereiche Jahre zurück liegen. 

Da es bisher noch nicht so verbreitet ist, nennen wir diese Möglichkeit. Das Ganze kann getestet werden und ist bei Autismus-Spektrum sinnvoll. 

  

Zitat: 

Die Skala der Emotionalen Entwicklung – Diagnostik (SEED) hilft, die Betreuung von Menschen mit intellektueller Entwicklungsstörung auf die basalen emotionalen Bedürfnisse der Klienten abzustimmen, so dass diese mehr im Einklang mit sich selbst und ihrer Umwelt leben können.  

Das Verhalten und die Bedürfnisse eines Menschen werden maßgeblich von seinem emotionalen Entwicklungsstand beeinflusst. 

  

Ein individueller Transport ist dann notwendig.  

  

Zu erklären wieso ein Kind, ein Jugendlicher oder Erwachsener eben nur auf eine ganz bestimmte Weise mobil sein kann, stößt seit Jahren immer wieder auf Unverständnis bzw. aufAblehnungen. 

Es gibt aber seit der Neufeststellung 2018 mehr Menschen mit dem Merkzeichen aG bei und mit Autismus. 

  

Wir haben gerade erst wieder eine Familie begleitet, die endlich die Anerkennung bekommen hat.  

  

Hinweise zur Rechtslage: 

  

§ 229 SGB IX in der Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016  

  

Es muss auf das  “gesamte Lebensumfeld“ abgestellt werden.

Denn es kommt auf eine Teilhabebeeinträchtigung in allen Lebenslagen an. 

  

Das wird oft wichtig sein, da immer wieder das Gehen von kleinen Strecken, Grund der Ablehnung war/ist. 

  

  

 

Merkzeichen aG ist noch immer eine Seltenheit. Wir kennen einige Menschen mit Autismus,die dringend das Merkzeichen benötigen. Menschen, die in ihrer Mobilität so sehr eingeschränkt sind, dass sie ans Haus gefesselt sind. 

 

 

Die Vergabe des Merkzeichen aG, bei Autismus ist bisher noch selten. Nach wie vor wird die Vergabe von den meisten Menschen ausschließlich auf eine schwere körperliche Behinderung abgestellt. Doch durch das BTHG hat es sich verändert. 

Wir haben schon einige Anträge begleitet. 

  

  

Zitat : 

Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. 

Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt 

 

ZUERKENNUNG DES MERKZEICHENS AG FÜR EINE AUSSERGEWÖHNLICHE GEHBEHINDERUNG BEI AUTISMUS

 

Ein Beispiel Auszug eines Urteils

 

Zitat: 

Ein Betroffener ist bei erforderlicher Beförderung mit Reha-Buggy aG-berechtigtem Personenkreis gleichzustellen

  

Das Merkzeichen aG für eine außergewöhnliche Gehbehinderung eines schwerbehinderten Menschen setzt voraus, dass die Einschränkung der Gehfähigkeit dauerhaft besteht. Bei einer Hirnleistungsschwäche (hier: Autismus und Entwicklungsverzögerung) kann von einer verminderten Gehfähigkeit als Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens aG dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene aufgrund der Auswirkungen seiner Erkrankung auch mit einer verantwortungsbewussten Begleitperson nicht mehr geführt werden kann, sondern eine Beförderung mit einem Reha-Buggy erforderlich ist.

Dies geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Gießen hervor. 

Der 2013 geborene im Landkreis Gießen lebende Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens leidet an einem schwerstgradig ausgeprägten Autismussyndrom und ist nicht in der Lage Handlungen zu planen und alleine durchzuführen. Er kann sich alleine weder orientieren noch Gefahren einschätzen und muss die gesamte Zeit beaufsichtigt werden. Eine erwachsene Person allein kann den Kläger trotz voller Umklammerung des Oberkörpers praktisch nicht festhalten. 

Feststellung des Merkzeichens aG abgelehnt 

Der Beklagte lehnte mit den angefochtenen Bescheiden vom 24. Januar 2017 und 24. März 2017 die Feststellung des Merkzeichens aG ab. Mit der im April 2017 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass er dem aG-berechtigten Personenkreis gleichzustellen sei. 

  

SG: 

Kläger ist im Hinblick auf mentale Beeinträchtigung aG-berechtigtem Personenkreis gleichzustellen 

Nach weiteren umfassenden Ermittlungen gab das Sozialgericht Gießen der Klage statt. Die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung seien in § 229 Abs. 3 SGB IX geregelt. Der Kläger gehöre zwar nicht zu dem im Gesetz beschriebenen Personenkreis, wenn lediglich auf sein physisch mögliches Gehen abgestellt werde. Im Hinblick auf seine mentale Beeinträchtigung (schwerstgradig ausgeprägtes Autismussyndrom) sei er diesem Personenkreis jedoch gleichzustellen. Denn er sei nicht in der Lage selbständig zielgerichtet auch unter Zuhilfenahme einer Begleitperson eine auch nur geringfügige Strecke zurückzulegen. Bei der ausgeprägten mentalen Behinderung des Klägers sei jederzeit damit zu rechnen, dass er sich von der jeweiligen Begleitperson losreiße, von dieser weglaufe oder in impulsiven/aggressiven Ausbrüchen gegen die Begleitperson oder Dritte losgehen könnte.